Über die Kreuzigung Jesu

Quelle: Distrikt Österreich

Aus den Betrachtungen über das bittere Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus - von Alfons Maria von Liguori

Nun sind wir bei der Kreuzigung angelangt, der letzten Marter, durch die unser Erlöser den Tod erfahren hat. Wir sind auf dem Kalvarienberg, der zum Schauplatz der göttlichen Liebe geworden ist. Dort hat Gott in einem Meer von Leiden Sein Leben gelassen. Als der Herr mit großer Mühe den Berg lebendig erreicht hatte, rissen sie Ihm zum dritten Mal die an den Wunden klebenden Kleider vom zerschundenen Leib gewaltsam herunter und legen Ihn auf das Kreuz nieder. Das göttliche Lamm streckt sich aus auf diesem qualvollen Bett. Es hält den Soldaten die Hände und Füße hin, damit die Henker sie mit Nägeln ans Kreuz nageln. Mit einem Blick zum Himmel opfert es dem ewigen Vater sein Leben zum Heil der Menschen. Nachdem eine Hand angenagelt ist, ziehen sich die Muskeln zusammen und deshalb muss die andere Hand und die Füße, nach einer Vision der heiligen Birgitta, mit Stricken an die Stelle der Nägel gezogen werden, so dass sich dadurch die Adern und Nerven verspannten und rissen, bis man schließlich, wie David prophezeite, alle Knochen zählen konnte: „Sie durchbohrten Mir Hände und Füße. Man kann all meine Knochen zählen" (Ps 22,17f). 

Jesus, aus welch anderem Grund wurden Dir die Hände und Füße an dieses Holz geheftet, als aus Deiner Liebe zu den Menschen! Mit dem Schmerz Deiner durchbohrten Hände wolltest Du alle Sünden bezahlen, die die Menschen mit ihren Händen begangen haben; mit dem Schmerz Deiner Füße wolltest Du alle Schritte begleichen, die wir getan haben, um Dich zu beleidigen. Segne mich mit Deinen durchbohrten Händen, meine gekreuzigte Liebe! Hefte mein undankbares Herz und meinen Willen, der sich so oft gegen Dich aufgelehnt hat, an Deine Füße, so dass sie sich nicht mehr von Dir entfernen. Gib, dass mich nichts anderes bewegt, als Deine Liebe und das Verlangen, dir zu gefallen. Obwohl ich Dich am Galgen des Kreuzes hängen sehe, bist Du für mich dennoch der Herr der Welt, der wahrhaftige Sohn Gottes und der Erlöser der Menschen. Jesus, um Deiner Barmherzigkeit willen verlasse mich nie mehr in meinem ganzen Leben, vor allem aber in der Todesstunde, in diesen letzten Kämpfen mit der Hölle. Steh mir bei und stärke mich, damit ich von Deiner heiligen Liebe begleitet sterbe. Ich liebe Dich, gekreuzigte Liebe, ich liebe Dich von ganzem Herzen!

Der heilige Augustinus sagt, es gebe keinen Tod, der bitterer wäre, als der Tod des Kreuzes. Denn die Gekreuzigten, bemerkt der heilige Thomas, werden an Händen und Füßen durchbohrt, an Stellen, die wegen der vielen Nerven, Sehnen und Adern besonders schmerzempfindlich sind. Auch bewirkt das Gewicht des hängenden Leibes, dass der Schmerz ständig anhält und bis zum Tod immer mehr zunimmt. Aber die Leiden Jesu übertreffen alle anderen Leiden. Denn Jesus besaß einen vollkommenen Leib, bemerkt er weiter, und darum empfand er die Schmerzen viel deutlicher und stärker, da ihm, nach einer Prophezeiung des Apostels, der Heilige Geist einen Leib gerade zum Leiden gegeben hat: „Doch einen Leib hast Du mir geschaffen“ (Hebr 10,5). Außerdem sagt der heilige Thomas, Christus habe sich einem Leiden unterzogen, das in einem entsprechenden Verhältnis gestanden ist mit den zeitlichen Strafen für die Sünden aller Menschen.

Betrachte Deinen Herrn, meine Seele, betrachte Sein Leben, das dort am Kreuze hängt. Sieh, wie Er, mit den schmerzverursachenden Nägeln ans Holz geheftet, weder Ruhe noch Rast findet. Einmal stützt er sich auf die Hände, dann wieder auf die Füße. Egal auf was Er sich stützt, der pochende Schmerz nimmt immer stärker zu. Er wendet das verwundete Haupt bald auf die eine, bald auf die andere Seite, dann senkt Er es herab auf die Brust. Dadurch reissen die Hände noch mehr ein. Neigt Er es auf die Schultern, so werden die Schultern von den Dornen gestochen; lehnt Er es an das Kreuz, so dringen die Dornen noch mehr in den Kopf ein. Mein Jesu, was für einen schrecklichen Tod hast Du zu erdulden!

Gekreuzigter Erlöser, ich bete Dich an auf diesem Thron der Schmach und der Leiden! Ich lese, wie auf diesem Kreuz geschrieben steht, dass Du ein König bist: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Aber was, außer diesem Titel des Spottes, weist Dich als König aus? Die durchbohrten Hände, das mit Dornen gekrönte Haupt, der über und über mit Wunden bedeckte Leib zeigen Dich freilich als König, aber als einen König der Liebe. Ich nähere mich voll Demut und Rührung, um Deine heiligen, durchbohrten Füße zu küssen; ich umfange das Kreuz, an dem du ein Opfer der Liebe geworden bist und Dich für mich der göttlichen Gerechtigkeit hingegeben hast: Du warst gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz. Was für ein seliger Gehorsam, der für uns die Verzeihung der Sünden erwirkt hat! Was würde aus mir werden, mein guter Erlöser, wenn Du nicht für mich bezahlt hättest! Ich danke Dir und bitte Dich im Vertrauen auf die Verdienste Deines Gehorsams, mir die Gnade zu verleihen, in allen Augenblicken und Umständen Deinem göttlichen Willen zu gehorchen. Ich sehne mich nur nach dem Himmel, um dich immer und mit all meinen Kräften zu lieben.

Nun naht am Stamm des Kreuzes für den König des Himmels der Tod. Wir wollen Ihn mit dem Propheten fragen: Sag mir, Jesus, was sind diese Wunden an Deinen Händen? Die Antwort Jesu darauf lautet: Es sind die Zeichen meiner großen Liebe zu euch und der Preis, um den ich euch aus den Händen der Feinde und des ewigen Todes befreie. Meine Seele, liebe deshalb Deinen Gott, der dich so sehr geliebt hat. Wenn du jemals an Seiner Liebe zweifeln solltest, betrachte das Kreuz, die Schmerzen und den bitteren Tod, den Er für dich erlitten hat, sagt der heilige Thomas von Villanova. Diese Zeugnisse werden dir sehr gut zeigen, wie sehr dein Erlöser dich liebt. Es ruft das Kreuz, sagt der heilige Bernhard dazu, es ruft jede Wunde des Herrn, dass Er uns mit inniger Liebe liebt.

Jesus, Du bist ganz von Schmerzen bedrückt und betrübt! Du hast völlig Recht, wenn Du denkst, dass nur wenige Menschen Dich lieben, obwohl Du am Kreuz bis zum Tod so unendliche Qualen gelitten hast. Gott, wie viele Herzen, die sich Dir besonders geweiht haben, lieben Dich entweder gar nicht, oder zu wenig! Flamme der Liebe, die Du am Kreuz das Leben Gottes verzehrt hast, verzehre auch mich; verzehre alle ungeordneten Neigungen, die noch in meinem Herzen leben, und bewirke, dass ich ausschließlich in Liebe zu meinem liebenswerten Herrn lebe, der aus Liebe zu mir, von Martern erschöpft, Sein heiliges Leben am Schandholz des Kreuzes hingab. Mein guter Jesus, ich will Dich immer lieben. Ich will nur Dich allein lieben, meine Liebe, mein Gott, mein alles!

„Deine Augen werden deinen Lehrer sehen“ (Jes 30,20). Den Menschen wurde verheißen, sie würden den göttlichen Lehrmeister mit eigenen Augen erblicken. Das ganze Leben Jesu war ein fortwährendes Beispiel und eine Schule der Vollkommenheit. Aber nirgends zeigte er uns Seine Tugenden besser, als auf dem Lehrstuhl des Kreuzes. Jesus lehrte uns durch das Ertragen der Schmerzen des bitteren Todes am Kreuz eindringlich Geduld, besonders für Zeiten der Krankheit! Dort lehrte Er uns durch Sein Beispiel strengen Gehorsam den Geboten Gottes gegenüber, vollkommene Ergebung in den göttlichen Willen, vor allem aber die Pflichten der Liebe. Ein guter Seelsorger schrieb einem seiner Beichtkinder, er habe am Fuß seines Kruzifixes folgende Worte angebracht: „Seht, so liebt man.“

Schau her, so liebt man, scheint der Erlöser uns allen vom Kreuze herab zuzurufen, so oft wir ein Ihm gefälliges Werk nicht ausführen, weil wir uns irgendeiner beschwerlichen Sache entziehen und manchmal sogar auf Seine Gnade und Seine Liebe verzichten wollen. Er hat uns bis zum Tod geliebt. Auch ich will Ihn bis zum Tod lieben! Herr, bisher habe ich Dich häufig beleidigt und verraten. Räche Dich an mir, aber mit der Rache der Barmherzigkeit und Liebe. Gewähre mir, einen großen Schmerz über meine Sünden zu verspüren, damit ich in Zukunft betrübt und bekümmert bin, weil ich Dich beleidigt habe. Ich verspreche, künftig lieber jede Art von Unglück ertragen zu wollen, als Dich wieder zu beleidigen. Welch größeres Unglück könnte mir widerfahren, als Dich zu beleidigen, mein Gott, mein Erlöser, meine Hoffnung, mein Schatz, mein Alles!

Jesus Christus sagte: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen' (Joh 12,32). Ein Theologe bemerkt dazu, Jesus werde, sobald er am Kreuze erhöht sein wird, durch Seine Verdienste, Sein Beispiel und die Kraft Seiner Liebe die Neigung aller Seelen an sich ziehen. Wer sollte dann Jesus, der aus Liebe zu uns sein Leben opfert, nicht lieben! Die heilige Kirche ermahnt uns: Erlöste Seelen, betrachtet euren Erlöser am Kreuz, auf dem seine ganze Gestalt nur Liebe atmet und uns zur Liebe einlädt. Das Haupt ist geneigt, um uns den Friedenskuss zu geben, die Arme sind ausgestreckt, um uns zu umfangen, und das Herz ist geöffnet, um uns zu lieben. Geliebter Jesu, wie konntest du an meiner Seele so stark Anteil nehmen, obwohl dir bekannt war, welche Gemeinheiten ich dir künftig noch zufügen würde! Um meine Zuneigung zu gewinnen, wolltest Du mir die größten Beweise Deiner Liebe geben. Ihr Geißeln, Dornen, Nägel und du mein Kreuz, die ihr den heiligen Leib meines Erlösers gemartert habt, kommt und verwundet mein Herz! Erinnert mich immer, dass ich all das Gute, das ich empfangen habe, wegen der Verdienste seines heiligen Leidens erhielt. Lehrer der Liebe, andere lehren mit Worten, du aber lehrst durch Dein Leiden am Kreuz. Andere lehren aus Gewinnsucht, Du aber aus Liebe, und Du verlangst keinen andern Lohn, als meine Erlösung.

Herr, mache mich dadurch selig, dass Du mir die Gnade verleihst, Dich immer zu lieben und Dir zu gefallen! Dich lieben ist meine Seligkeit.

Als Jesus am Kreuz bereits dem Tode nahe war, quälten die Menschen Ihn weiter mit Spott und Verhöhnung. Einige sagten: „Anderen hat Er geholfen, nun soll Er sich selbst helfen, wenn Er der erwählte Messias Gottes ist“. Andere sagten: „Wenn Du der König der Juden bist, dann hilf Dir selbst!“ (Lk 23,35f). Und was tut Jesus vom Kreuze herab, während Ihn diese Leute schmähen? Bittet er vielleicht den ewigen Vater, Er möge sie strafen? Nein, Er bittet ihn vielmehr, ihnen zu verzeihen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23, 34). Der heilige Thomas sagt: Um Seine unermessliche Liebe zu den Menschen zu zeigen, bat der Erlöser sogar für Seine Peiniger bei Gott um Vergebung. Er bat darum und erhielt sie, so dass viele nach Seinem Tode ihre Sünde bereuten und Heilige wurden.

Mein geliebter Erlöser, sieh mich hier zu deinen Füßen. Auch ich war einer Deiner undankbaren Verfolger. Bitte auch für mich Deinen göttlichen Vater, Er möge mir verzeihen! Die Juden und deine Peiniger wussten nicht, was sie taten, als sie Dich kreuzigten. Ich jedoch wusste sehr gut, dass ich durch meine Sünden Gott beleidigte, der für mich am Kreuz gestorben ist. Dein Blut und dein Tod haben auch mir die göttliche Barmherzigkeit erlangt. Ich kann nicht daran zweifeln, dass ich für meine Sünden Vergebung erlange, weil ich Dich sterben sehe, um dieses Ziel zu erreichen. Mein Erlöser, sieh mich an mit einem dieser liebevollen Blicke, mit denen Du bei Deinem Tod am Kreuz auf mich herabgeblickt hast. Schau mich an und verzeih mir jeden Undank, mit dem ich deiner Liebe begegnet bin! Ich bereue es, Jesus, dass ich Dich beleidigt habe! Ich liebe Dich von ganzem Herzen; und im Hinblick auf Dein Beispiel liebe ich auch alle, die mich beleidigt haben. Ich wünsche ihnen alles Gute und verspreche, ihnen aus Liebe zu Dir nach Kräften zu dienen und Beistand zu leisten, denn Du hast Dein Leben geopfert für mich, der ich Dich so sehr beleidigt habe!

„Jesus, denk an mich," sagte einer der Verbrecher zu Dir, und Du hast ihn mit den Worten getröstet: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein" (Lk 23,43). Gedenke meiner, rufe auch ich Dir zu, denk daran, dass ich eines jener Lämmer bin, für die Du das Leben gelassen hast. Tröste auch mich; lass mich fühlen, dass Du mir verzeihst, indem Du mir einen großen Schmerz über meine Sünden verleihst. Erhabener Priester, der du dich selber aus Liebe zu deinen Geschöpfen opferst, sei mir gnädig! Von heute an opfere ich dir meinen Willen, meine Sinne, meine Vergnügungen und alle meine Wünsche. Ich glaube, mein Gott, dass Du für mich am Kreuz gestorben bist. Gieße Dein göttliches Blut auch auf mich herab. Es wasche mich ab von meinen Sünden, entflamme mich zu heiliger Liebe und mache mich ganz zu deinem Eigentum. Jesus, ich liebe Dich; ich möchte auch für Dich gekreuzigt werden, wie Du für mich gekreuzigt worden bist!

Ewiger Vater, ich habe Dich beleidigt. Aber schau, Dein Sohn, der am Kreuz hängt, leistet Genugtuung für mich mit dem Opfer Seines göttlichen Lebens. Ich opfere Dir Seine Verdienste, die nun alle auch die meinigen sind, denn Er hat sie mir zum Geschenk gemacht. Und aus Liebe zu diesem göttlichen Sohn bitte ich Dich, hab Mitleid mit mir. Ich flehe Dich um eine noch größere Barmherzigkeit an: schenke mir Deine Gnade, die ich Unglücklicher oft freiwillig verscherzt habe. Ich bereue es, dass ich Dich betrübt habe, und liebe Dich, mein Gott, mein alles. Um Dir zu gefallen bin ich bereit, jede Schmach, jeden Schmerz, jedes Elend, jeden Tod zu erdulden!

Aus Gebete und Betrachtungen von Alfons Maria von Liguori - mit freundlicher Genehmigung des Verlages Markus Fassbaender