
100 Fragen zur aktuellen Lage der Kirche
Mit Papst Franziskus sind die positiven Ansätze des Pontifikats Benedikts XVI. fast alle wieder zum Erliegen gekommen. Man muß sogar sagen, daß sich die Kirchenkrise unter ihm verschärft hat. Während seine Vorgänger wenigstens in den Fragen der Moral eindeutig waren, ist das bei Papst Franziskus nicht mehr der Fall. So hat er zweideutige Bemerkungen über die Homosexualität gemacht und mindestens Sympathien für die Zulassung der sog. wiederverheirateten Geschiedenen erkennen lassen. Auch in den Fragen des Glaubens hat er mehrfach gezeigt, an theologischer Genauigkeit kein großes Interesse zu haben.
Trotzdem hat Papst Franziskus erstaunlicherweise auch Sympathien für die Priesterbruderschaft St. Pius X. und deren Priestern für das Heilige Jahr der Barmherzigkeit 2015/16 die ausdrückliche Erlaubnis gegeben, überall Beichte zu hören.
In einem Interview, das Papst Franziskus der Jesuitenzeitschrift Civilta’ Cattolica kurz nach seiner Wahl gegeben hat und das am 13.9.2013 veröffentlicht wurde,[54a] spricht er von homosexuellen Personen, die sich von der Kirche verurteilt fühlen und sagt: «Aber das will die Kirche nicht. Auf dem Rückflug von Rio de Janeiro habe ich gesagt, wenn eine homosexuelle Person guten Willen hat und Gott sucht, dann bin ich keiner, der sie verurteilt.» Der Papst hätte sagen müssen, daß Homosexualität eine schwere Sünde ist und derjenige, der darin verharrt und sich nicht bekehren will, das ewige Leben nicht erlangen wird. Es geht gar nicht darum, jemanden zu verurteilen, sondern die Wahrheit zu sagen. Es ist auch ein Akt der Nächstenliebe, diejenigen, die in Gefahr sind, ewig verdammt zu werden, zu warnen und zur Umkehr aufzurufen. Statt dessen beruhigt der Papst sie in ihrer falschen Haltung.
Weiter sagte er: «Einmal hat mich jemand provozierend gefragt, ob ich Homosexualität billige. Ich habe ihm mit einer anderen Frage geantwortet: ‚Sag mir: Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er die Tatsache mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück?» Das Problem ist doch, daß ein solcher Mensch gewissermaßen zu Gott sagt: «Ich will zwar in einem guten Verhältnis mit dir stehen, aber in meinem persönlichen Leben darfst Du mir keine Vorschriften machen.» Für einen solchen Menschen ist der liebe Gott gerade noch gut genug, um alles abzusegnen, was er tut.
Auch die Unauflöslichkeit der Ehe scheint für den Papst nicht so wichtig zu sein: «Ich denke auch an die Situation einer Frau, deren Ehe gescheitert ist, in der sie auch abgetrieben hat. Jetzt ist sie wieder verheiratet, ist zufrieden und hat fünf Kinder. Die Abtreibung belastet sie und sie bereut wirklich. Sie will als Christin weiter gehen. Was macht der Beichtvater?» Wenn die Frau ihre Abtreibung bereut und gebeichtet hat, hat Gott ihr dies zweifellos verziehen. Die Kirche hat nie etwas anderes gelehrt. Aber was ist mit ihrer Ehe? Ihre Ehe ist gescheitert, aber sie hat wieder neu geheiratet. Nun ist sie zufrieden, hat viele Kinder und alles ist in Ordnung. Ist es für den Papst kein Problem, daß die Frau im Ehebruch, in einer wilden Ehe lebt?
Papst Franziskus sagt, er sei ein Sohn der Kirche und nehme als solches die Lehre der Kirche an, offenbar also auch die Lehre der Kirche zu Homosexualität und Ehescheidung. Aber diese Lehre scheint für ihn keine Verbindlichkeit zu haben: «Die Religion hat das Recht, die eigene Überzeugung im Dienst am Menschen auszudrücken, aber Gott hat sie in der Schöpfung frei gemacht: Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben.» Vielleicht ist dies der schlimmste Satz im ganzen Interview. «Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben.» Das ist die neuzeitliche Ideologie eines extremen Liberalismus, nach dem der Mensch ein kleiner Gott ist, der tun und lassen kann, was er will, solange er die kleinen Götter neben sich nicht behindert, ebenfalls zu tun und zu lasse, was sie wollen. Es gibt für ihn offenbar keine objektive Moral mehr, sondern jeder muß mit seinem eigenen Gewissen ausmachen, was er für richtig hält. Selbst der liebe Gott darf ihm dabei keine Vorschriften machen.
In bezug auf den rechten Glauben sagte Papst Franziskus, man dürfe nicht «in übertriebener Weise die ‚Sicherheit‘ in der Lehre» suchen, denn sonst hätte man «eine statische und rückwärts gewandte Vision». Die Gläubigen, die der Lehre der Kirche treu bleiben wollen, würden aus dem Glauben «eine Ideologie unter vielen» machen.
Den Eindruck, daß der rechte Glaube nicht so wichtig sei, erweckte Papst Franziskus auch bei seinem Besuch der lutherischen Kirche in Rom am 15. November 2015. Die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten scheinen für ihn nur in theologischen Haarspaltereien zu bestehen. Wir haben die gleiche Taufe, sagte er in seiner Ansprache an die Lutheraner, wir haben gemeinsam gebetet – lieben wir uns gegenseitig wie Geschwister und arbeiten wir gemeinsam für die Armen, das ist das Wichtigste. Und wenn unsere und eure Dogmatikbücher etwas anderes sagen, dann streiten wir nicht darüber, denn jetzt sei es Zeit für die «versöhnte Verschiedenheit». Einer protestantischen Frau, die mit einem Katholiken verheiratet ist, sagte er bei demselben Besuch, es sei das Gleiche, wenn sie den Herrn um Vergebung ihrer Sünden bitte und ihr Mann zur Beichte gehe. Hält er das Bußsakrament für nicht so wichtig?
Er lobte auch die Rede Kardinal Kaspers im Februar 2014, in der dieser Vorschläge für eine Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zur hl. Kommunion machte. Er habe diese Rede noch einmal «vor dem Einschlafen, aber nicht zum Einschlafen» gelesen und darin «profunde Theologie» und «klares Denken» gefunden. Kaspers Vortrag sei ein Beispiel für eine «kniende Theologie». Das ist ein starkes Stück, denn Kardinal Kasper hatte damit schließlich vorgeschlagen, die Kommunion an Menschen auszuteilen, die im Stand der schweren Sünde leben.
Trotz seines leutseligen Gehabens ist sein Regierungsstil im übrigen deutlich autoritärer als der seiner Vorgänger. So hat er mehrfach Bischöfe unter Umgehung der üblichen Verfahrensweisen ernannt und im August 2015 unter Umgehung aller Institutionen, die für Gesetzesänderungen in der Kirche zuständig sind, das Verfahren der Ehenichtigkeitsprozesse vereinfacht, womit nun zu befürchten ist, daß es in Zukunft noch mehr zweifelhafte Ehenichtigkeitserklärungen geben wird, als dies ohnehin schon der Fall ist.
[54a] Das Interview liegt mittlerweile auch in Buchform vor: Antonio Spadaro SJ, Das Interview mit Papst Franziskus. Freiburg: Herder 2013
Quelle: Katechismus zur kichlichen Krise, Pater Matthias Gaudron, Sarto-Verlag, 2017, 4. Auflage