23. Hat das Pontifikat Benedikts XVI. eine Wende gebracht?

29. November 2017
Quelle: Distrikt Österreich

100 Fragen zur aktuellen Lage der Kirche

Zweifellos übte Benedikt XVI. sein Pontifikat auf eine seriösere Weise aus als sein Vorgänger und war vor allem der liturgischen Tradition der Kirche sehr gewogen. Die Freigabe der überlieferten Messe durch das Motu proprio vom 7. Juli 2007 – trotz des Widerstandes vieler Bischöfe (besonders im deutschen und französischen Episkopat) – und die Rücknahme des Exkommunikationsdekrets gegen die Weihbischöfe der Priesterbruderschaft St. Pius X. im Januar 2009 waren wichtige Meilensteine auf dem Weg, die Tradition der Kirche wieder in ihre Rechte einzusetzen.

Trotzdem konnte er seine modernistische Ausbildung nicht ganz verleugnen. In seinen früheren Büchern finden sich Aussagen, die manchmal an der Grenze zur Häresie stehen. Papst Benedikt hat sie nie widerrufen, sondern ließ diese Bücher weiter auflegen. Er hatte auch kein Verständnis für das Königtum Jesu Christi über die Gesellschaft und wollte unbedingt das 2. Vatikanische Konzil retten, indem er versuchte, es in die Kontinuität der Tradition zu stellen. Die Unmöglichkeit dieses Unterfangens werden wir noch sehen.

Alles in allem hatte das Pontifikat Benedikts zwar eine atmosphärische Verbesserung in der Kirche bewirkt, aber noch keine wirkliche Wende.

Viele Passagen seines berühmten Buches «Einführung in das Christentum» sind absolut inakzeptabel. Die Strategie des jungen Ratzinger besteht häufig darin, die traditionelle katholische Lehre zu karikieren und diese Karikatur dann abzulehnen. So polemisiert er beispielsweise im Kapitel über die Gottheit Christi gegen einen «ontologogischen Gottmythos», den die Konzilien von Nicäa und Chalzedon natürlich nicht gemeint hätten, und tritt statt dessen für eine «Dienstchristologie» ein.[48] Jesus sei der Mensch, der sich ganz an andere hingegeben und damit die Grenzen des Menschseins durchbrochen habe. «Der Glaube sieht in Jesus den Menschen, in dem – vom biologischen Schema her gesprochen – gleichsam der nächste Evolutionssprung getan ist; den Menschen, in dem der Durchbruch aus der beschränkten Art unseres Menschseins, aus seiner monadischen Verschließung, geschehen ist.»[49] «Der Mensch ist dadurch Mensch, daß er unendlich hinausreicht über sich, und er ist folglich um so mehr Mensch, je weniger er in sich verschlossen, «beschränkt» ist. Dann aber ist … der am meisten Mensch, ja der wahre Mensch, der am meisten entschränkt ist, der das Unendliche – den Unendlichen! – nicht nur berührt, sondern eins mit ihm ist: Jesus Christus. In ihm ist der Schritt der Menschwerdung wahrhaft zum Ziel gekommen. … Wenn Jesus der exemplarische Mensch ist, in dem die wahre Gestalt des Menschen, die Idee Gottes mit ihm, vollends ins Licht tritt, dann kann er nicht dazu bestimmt sein, nur eine absolute Ausnahme zu sein, eine Kuriosität.»[50] Aber doch! Jesus ist die absolute Ausnahme, denn es gibt keinen zweiten Menschen, in dem Gottheit und Menschheit vereint wären, dessen menschliche Natur von einer göttlichen Person getragen würde. Obwohl es von ihm als Kardinal Ratzinger und Papst Benedikt eindeutige Aussagen zur Gottheit Christi gibt, schrieb er im Jahr 2000 ein neues Vorwort für dieses Buch und läßt es weiterhin unverändert herausgeben.

In seiner ersten Predigt als Papst versprach er zudem, den Weg des ökumenischen Dialogs, der für Johannes Paul II. ein Schwerpunkt seines Pontifikats gewesen war, fortzusetzen. Seine Synagogenbesuche und vor allem sein Besuch der Blauen Moschee in Istanbul am 30. November 2006, bei dem er einige Augenblicke gegen Mekka gewandt betete, waren eher dazu geeignet, die Nichtchristen in ihrem falschen Glauben zu bestärken als sie zum wahren Glauben zu führen. Seine Teilnahme an einem protestantischen Gottesdienst in der deutschen Gemeinde in Rom am Sonntag Lætare 2010, bei dem er in liturgischer Kleidung auftrat, predigte und den Segen spendete, wäre früher als communicatio in sacris streng verboten gewesen.[51] Wenn der Papst meint, mit den Protestanten freundschaftliche Beziehungen pflegen zu müssen, muß er dann unbedingt gleich an einem Gottesdienst mitwirken? Auch den vorkonziliaren Päpste war die Einheit der Christen ein Anliegen, aber sie waren stets darauf bedacht, klarzustellen, daß die von der Kirche Abgespaltenen zurückkehren müssen und es keine diffuse Einheit in «versöhnter Verschiedenheit» geben kann, wie man heute gerne sagt.

In seinem Interviewbuch Licht der Welt meinte Benedikt aber, daß die Protestanten «auf andere Weise Kirche sind».[52] Das Christentum habe «im Protestantismus sozusagen eine Akzentverschiebung vorgenommen», und man versuche, sich gegenseitig als Christen anzuerkennen und miteinander einen Dienst als Christen zu tun.[53] Diese positive Sicht des Protestantismus steht in völligem Gegensatz zur traditionellen Lehre der Kirche. Der einzelne Protestant mag ja «bona fide», d. h. guten Glaubens» sein, da er es nicht besser weiß, aber der Protestantismus als solcher ist nicht «eine andere Weise des Kirche-seins», sondern ein Abfall von der Kirche Christi.

In seiner am 14. November 2005 veröffentlichten Botschaft an den italienischen Parlamentspräsidenten Casini betonte Benedikt XVI., die Kirche verlange von keinem Land und in keiner internationalen Organisation eine Form von privilegierter Behandlung. Sie wolle allein die Möglichkeit haben, den eigenen Auftrag zu erfüllen.[54] Ähnliche Aussagen hat er öfters gemacht. Wir werden im Kapitel über die Religionsfreiheit sehen, daß dies der traditionellen Lehre der Kirche widerspricht.

Die Seligsprechung Johannes Pauls II. schließlich war angesichts der objektiven Skandale, deren dieser Papst sich schuldig gemacht hat (selbst wenn er dabei subjektiv vielleicht in guter Gesinnung gehandelt hat), ein völlig falsches Zeichen.

[48]  Joseph Ratzinger: Einführung in das Christentum, München 1968, S. 182. «Ontologisch» bedeutet «das Sein betreffend». Jesus ist auf der Ebene des Seins wahrer Gott und nicht nur in einer übertragenen Bedeutung. Wenn Ratzinger gegen diesen Begriff polemisiert und ihm im Begriff «Dienstchristologie» einen Ausdruck entgegenstellt, der nur die Ebene des Handelns betrifft, scheint Jesus für ihn nicht wirklich Gott zu sein.
[49] Ebd. S. 194.
[50] Ebd. S. 190 f.
[51] Vgl. CIC (1917), can. 1258.
[52]  Benedikt XVI., Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Freiburg: Herder 2010, S. 120.
[53] Ebd. S. 121.
[54] Vgl. Die Tagespost vom 17.11.2005, S. 4.

Quelle: Katechismus zur kichlichen Krise, Pater Matthias Gaudron, Sarto-Verlag, 2017, 4. Auflage